Über den Tellerrand: Ein Erfahrungsbericht aus dem Fediverse

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So ein Blick über den Tellerrand kann schön sein, aber auch ganz schön anstrengend. Normalerweise stört mich die Begrenzung, die Mastodon-Instanzen haben, nicht, aber manchmal würde ich mir vor allem eine größere Zeichenanzahl wünschen. Daher wollte ich mir ein paar andere Dienste im Fediverse anschauen. Es gibt so viele Möglichkeiten, am Fediverse teilzunehmen.

Disclaimer: Dies soll ein rein subjektiver Erfahrungsbericht sein und niemanden irgendwie bloßstellen oder verärgern. Ich schreibe hier, wie ICH beide Dienste erlebt habe, nicht mehr, nicht weniger. Natürlich besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit.

Ich habe mir einmal Friendica auf der anonsys.net-Instanz und einmal Iceshrimp auf der Iceshrimp.de-Instanz herausgesucht. Also bei beiden Diensten einen Account angelegt und hinein ins Vergnügen.
Ich hatte mir vorher schon mal Accounts bei Instanzen mit Sharkey-Diensten angelegt, bin dann aber nach einiger Zeit wieder zurück zu Mastodon, einfach, weil Sharkey mit den meisten (iOS) Apps nicht so gut zusammengeht. Bei Anonsys hatte ich mir mal vor Jahren einen Account zugelegt, mit einer E-Mail-Adresse, die nicht mehr existiert. Das ist ein großer Vorteil am Fediverse, man kann theoretisch die Instanzen und Dienste wechseln wie Unterhosen.

Iceshrimp und Friendica

Fangen wir mal mit Friendica an. Friendica ist einer der ältesten Dienste im Fediverse, seit 2010 am Start.
Einen Account zu erstellen ist so einfach wie überall auch. E-Mail, Nutzername, Passwort. Easy as that.
Nach dem ersten Einloggen steht man erst einmal vor einer Wand. Es sagt schon sehr viel über die Komplexität von Friendica aus, wenn man erst einmal von netten Personen Hilfedokumente zugesendet bekommt, die eine erste Orientierung ermöglichen.

Nachdem man sich ein wenig reingefuchst hat, sieht man erst die Möglichkeiten, die Friendica bietet. Man kann seine Kontakte in Gruppen, oder Circles, wie es bei Friendica heißt, einteilen. Diese Circles lassen sich auch neu erstellen. Man kann Gruppen erstellen, Hashtags folgen, es gibt sogar einen Kalender, den man für andere User freigeben kann. So wie ich es verstanden habe, kann man auch die Kommunikation per Mail in Friendica einbinden. Ein Killerfeature, meiner Meinung nach, ist die native Einbindung von Bluesky. Dazu benötigt man zwar einen Account dort, kann sich dann aber seine Bluesky Timeline in Friendica anzeigen lassen.

Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, seinen Account umzuziehen, oder auch nur die Followerlisten und Blocks zu importieren. Es funktionierte alles problemlos. In den Einstellungen lassen sich die kleinsten Schräubchen drehen. So lässt sich Friendica an die individuellen Bedürfnisse anpassen.

Ein cooles Feature ist die Möglichkeit, Posts von Accounts automatisch boosten zu lassen. Leider geht mit dieser Komplexität meiner Meinung nach auch die Übersicht ein bisschen flöten. Ich habe mich sehr oft durch die kompletten Einstellungen geklickt, um ein Häkchen zu finden, das ich entfernen oder setzen wollte. Leider ist die UI auch, sagen wir mal, sie hat einen gewissen Retrocharme, wenn ihr wisst, was ich meine.

Friendica fühlt sich für mich an wie Facebook vor der Enshittification, aber mit mehr Features. Es ist ein sehr komplexer Zugang zum Fediverse, der ein bisschen Einarbeitung voraussetzt, dann aber den User mit einer Unzahl an Features und Einstellungsmöglichkeiten quasi „sein“ Friendica zusammenbauen lässt.

Der einzige wirkliche Nachteil ist für mich die UI. Sie ist in den Grundeinstellungen sehr „cluttered“ und wirkt irgendwie zu vollgepackt. Das lässt sich auch in den Einstellungen ändern, aber wirkt auf den ersten Blick erst mal erschlagend.

Ich finde Friendica hochinteressant, aber eher für Fediverse-Poweruser geeignet, die auch mal längere Texte schreiben wollen und sich mit den zig Einstellmöglichkeiten „Ihren“ Zugang zu Fediverse bauen möchten.

Jetzt zu Iceshrimp

Iceshrimp ist ein Misskey-Fork und daher liegt er von den Features und den Möglichkeiten, zwischen Mastodon und Friendica. Es gibt große Anzahl von Misskey-Forks, die sich mehr oder weniger nur in Details unterscheiden. Daher passt mein Erfahrungsbericht zum großen Teil auch auf die anderen Forks wie Sharkey.

Die Anmeldung ist ebenso einfach wie bei den anderen Diensten. Wenn man sich eine Instanz herausgesucht hat, reichen E-Mail, Passwort und Username.

Erst einmal fällt auf, wie viel moderner die UI aussieht im Gegensatz zu Mastodon oder auch Friendica. Es gibt drei Timelines zur Auswahl: Meine Timeline, Lokal Timeline und Social Timeline, die wohl die interessanteste von allen ist, da sie die persönliche mit der Lokalen Timeline kombiniert. Das Team bei Iceshrimp arbeitet gerade an einem rewrite der Codebasis und möchte Iceshrimp noch zugänglicher und kompatibler machen.

Ansonsten ist es wie mit den anderen Zugängen zum Fediverse: Es gibt Benachrichtigungen, die Suche und die Einstellungen. Zusätzlich gibt es noch ein paar andere Features, die Iceshrimp herausstechen lassen.

Zum einen eine Chat-Funktion. Mit der kann man ungezwungen mit anderen Usern schreiben. Ob die Funktion auch außerhalb von Iceshrimp funktioniert, also die Angeschriebenen quasi eine DM bekommen, kann ich leider nicht sagen, zwischen meinem Friendica Account und dem Iceshrimp Account funktioniert es aber ziemlich gut.

Dann gibt es noch eine Funktion namens Drive. Quasi ein kleiner Cloudspeicher, auf dem dann auch die Medien, die man hochlädt, gespeichert werden. Es lassen sich aber auch alle anderen Dateien hochladen und (Zwischen)-Speichern.

Leider kann man keinen Hashtags folgen, dafür sind sogenannte Antennen mit an Bord. Das sind quasi großangelegte Filter, die die Timelines durchsuchen und Posts mit zuvor festgelegten Schlagwörtern oder auch Hashtags in diese Antennen hineinspülen. Von diesen Antennen lassen sich zumindest bei Iceshrimp viele anlegen. Inwieweit das auf die Forks zutrifft, kann ich leider nicht sagen. Die Antennen sollen einigen Usern zufolge die Funktionalität einstellen und auch nicht alles abfangen, was mit einem Schlagwort gepostet wird. Das konnte ich nicht bestätigen, ich nutze die Antennen aber auch erst seit einer Woche. Ich mag diese Antennen auf jeden Fall, ob sie die Hashtags ersetzen können, bin ich mir unsicher.

Man kann sich ebenfalls Bookmark-Ordner anlegen, um seine gespeicherten Beiträge entsprechend abzulegen.

In den Einstellungen, die sehr gut aufgeräumt sind, kann man sich auch eigene Themes erstellen oder per CSS installieren, ich finde die Themes, die Iceshrimp anbietet, mehr als ausreichend. Es lassen sich in den Einstellungen auch die Anordnung der UI-Elemente anpassen, Widgets hinzufügen oder entfernen.

Ein cooles Feature sind die Emoti-Reactions. Leider werden die bei Mastodon nur als Like angezeigt. Von Haus aus ist eine konfigurierbare Deck-Funktion mit an Bord. Hier kann man sich seinen Bildschirm anpassen, mehrere Timelines oder Antennen anzeigen lassen. Diese Ansicht ist tatsächlich mein Hauptbildschirm.

Ein tolles Feature, das eventuell einige Leute gerne nutzen würden, ist die Pages-Funktion. Ein eingebauter Blog, der dann auch an die Öffentlichkeit gegeben werden kann. Dieser Text wurde in der Blog-Funktion erstellt. Leider habe ich bei Iceshrimp ab und an das Gefühl, das nicht alle Beiträge in die Timeline gespült werden, die ich eigentlich abonniert habe. Ich kann es nicht belegen, aber dieses Gefühl ist auf jeden Fall da.

Ein weiterer Nachteil ist, dass man sich nicht benachrichtigen lassen kann, wenn ein Account etwas postet. Auch hier muss man sich mit den Antennen behelfen.

Mobiler Zugang

Da sieht es leider etwas mau bei beiden aus.
Es gibt für iOS meines Wissens keine dezidierte App für Friendica. Ich nutze daher die Mona-App, die ich auch für Mastodon nutze. Damit lässt sich die Timeline anzeigen, aber zum Beispiel aus Gründen keine Direktnachrichten versenden. Daher würde ich für Friendica auf dem Mobilgerät zum Browser raten, um alle Features nutzen zu können.

Bei Iceshrimp sieht es ein wenig besser aus, es gibt einige native Apps für Misskey, die dann auch mit Iceshrimp funktionieren. Aria for Misskey beispielsweise. In dieser App sind die meisten Funktionen und Features integriert. Allerdings, und vielleicht ist es nur bei mir so, ist die App sehr ruckelig und hakelig.
Da die Devs von Iceshrimp auch die Mastodon-API implementiert haben, funktioniert auch alles in der Mona-App, allerdings mit stark eingeschränktem Funktionsumfang (kein Chat, kein Drive, keine Antennas) also auch die Qual der Wahl.

Alles in allem hat mich Iceshrimp mehr überzeugt als Friendica. Friendica ist eine tolle Möglichkeit für den Zugang zum Fediverse, aber für mich ZU komplex und mächtig. Ich fühle mich mit Iceshrimp einfach wohler. Und darauf kommt es ja im Fediverse an, oder nicht? Jeder findet den Zugang, der für ihn passt.

Sollte ich wechseln wollen, würde auf jeden Fall ein *key-Fork der Favorit sein. Eventuell sogar Iceshrimp.

Quellenangaben:
Bild von https://heise.de – Künstler Rudolf A. Blaha

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Gastautor

Unter dem Autor verbergen sich viele Menschen. Ihr habt die Möglichkeit euer Hobby etwas näher zu erklären oder euch etwas von der Seele zu schreiben zu eurem Hobby. Schreibt mich ruhig an für mehr Informationen.

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